In Zeiten des Fachkräftemangels bewerben sich Unternehmen um die Gunst von qualifizierten Fachpersonal. Denn der Arbeitgebermarkt ist heute ein Arbeitnehmermarkt, der vom Fachkräftemangel bestimmt wird. Wenn die Bewerber also am längeren Hebel sitzen, müssen Personalverantwortliche besonders aktiv und kreativ werden, um ihre bestehenden Mitarbeiter zu halten und junge Talente – die Generation Z – anzuwerben. Womit können Unternehmer beeindrucken – über ein faires Gehalt, kostenlose Elektrogeräte und das Büroyoga-Angebot hinaus?
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Mittlerweile sind alle Branchen und Berufe vom Fachkräftemangel betroffen, wie eine jährliche österreichweite ibw-Befragung von mehr als 4.200 Unternehmen zeigt, die im Auftrag der WKO durchgeführt wird und als „Fachkräfteradar“ bekannt ist. Die Umfrage aus dem März/April 2022 ergab, dass der Fachkräftemangel in Österreich einen neuen Höhepunkt erreicht hat, wobei etwa 270.000 Fachkräfte fehlten. Anfang des Jahres litten 73% der befragten Unternehmen unter einem (sehr oder eher) starken Fachkräftemangel. Ein besonders massiver Mangel herrscht in folgenden Branchen:
- Baugewerbe
- Herstellung von Holzwaren
- Gastronomie/Hotellerie
- Gesundheits- und Sozialwesen
- Produktion Metall inkl. Maschinen- und Fahrzeugbau
Obwohl der Mangel an Fachkräfte in verschiedenen Branchen in ganz Österreich spürbar ist, gibt es spezifische Berufsfelder, in denen der Fachkräftemangel besonders ausgeprägt ist. Eine Liste von Mangelberufen gibt Aufschluss darüber, welche Berufe besonders betroffen sind (die Berufe werden in geschlechtsneutraler Form aufgeführt). Absolute Mangelberufe in Österreich sind:
- In der Baubranche bzw. in handwerklichen Berufen: Dachdecker, Betonbauer, Plasterer, Zimmerer, Fliesenleger, Rohrinstallateur, Elektroinstallateur, Maurer, Schlosser, Tiefbauer, Maler und weitere
- Im medizinischen Bereich: Ärzte, Augenoptiker, Pfleger
- In der Gastronomie: Köche, Kellner und Gaststättenfachleute
- Techniker mit höherer Ausbildung für die Datenverarbeitung oder Maschinenbau oder das Bauwesen
- Und auch in der IT-Branche herrscht absoluter Mangel im Fachpersonal.
Gründe für den Fachkräftemangel
Die Entstehung des Personalmangels in einer wachsenden Anzahl von Branchen in Österreich lässt sich nicht auf eine einzige Ursache zurückführen, wie eine Publikation der Agenda Austria zeigt. Vielmehr sind es eine Vielzahl von Gründen, die dafür verantwortlich sind.
- Fehlender „Babyboomer“: Hierbei handelt es sich um die Auswirkungen einer alternden Gesellschaft, die darin besteht, dass die Menschen immer länger leben, aber weniger junge Menschen nachkommen. Dies führt zu einem demografischen Wandel, da jedes Jahr mehr Menschen in den Ruhestand gehen, als neue Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt kommen.
- Regionale Diskrepanzen: Ein weiterer Grund für den Mangel an Arbeitskräften ist, dass die offenen Stellen nicht immer dort verfügbar sind, wo Fachkräfte nach Arbeit suchen. Dies bedeutet, dass Angebot und Nachfrage oft örtlich getrennt sind. Aufgrund von mangelnder Mobilität entstehen hier erhebliche Unterschiede, so dass es in einem Bundesland Arbeitssuchende geben kann, die in ihrem Berufsfeld keinen Job finden, während in anderen Bundesländern das Angebot an offenen Stellen für genau diese Berufsgruppe groß ist.
- Corona Auswirkungen: Die Corona-Krise hat auch den Fachkräftemangel weiter verschärft. Einerseits sind während der Pandemie viele Arbeitskräfte, insbesondere aus Osteuropa, in ihre Heimatländer zurückgekehrt, wodurch diese nun in Europa fehlen. Andererseits führten die Lockdowns und Einschränkungen vor allem in der Tourismusbranche dazu, dass viele Arbeitnehmer sich beruflich umorientierten und in andere Branchen wechselten.
- Teilzeitboom: Seit Ausbruch der Corona-Pandemie gibt es einen weiteren Grund für den Fachkräftemangel: Immer mehr Arbeitnehmer legen Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance. Dazu gehören nicht nur flexible Arbeitsbedingungen, sondern auch eine Teilzeitbeschäftigung. Obwohl dies nicht unbedingt zu einem Rückgang der Anzahl der Fachkräfte führt, führt dies zu einem Mangel an Unternehmen, die für die Erbringung der gleichen Wirtschaftsleistung mehr Personal einstellen müssen, da immer mehr Fachkräfte weniger Stunden arbeiten wollen.
Arbeitnehmer am längeren Hebel aufgrund des Fachkräftemangel
Die Verhandlungsmacht liegt nun bei den Arbeitnehmern: Bewerber können die Suche nach einer Stelle selbstbewusster angehen und für Angestellte ist die Hürde nicht mehr so groß, den aktuellen Job zu verlassen. Dieser Macht ist sich vor allem die jüngste Generation an Erwerbstätigen bewusst. Zur sogenannten Generation Z zählen alle, die gegen Ende der 90er-Jahre oder danach geboren sind. Sie sind nicht nur besonders rar, sondern auch wechselfreudig und willensstark. Vor allem wünschen sie sich Sinn in ihrer Arbeit und Kommunikation auf Augenhöhe. Aber nach der Pandemie spielen auch Sicherheit und Stabilität eine immer größere Rolle – Themen, bei denen der Mittelstand punktet. Kleine und Mittelständische Unternehmen (KMU) stehen für Verlässlichkeit. Außerdem sind in kleineren Betrieben die Entscheidungswege oft kürzer als in Konzernen. So können Personalentscheider agil auf die Veränderungen im Arbeitsmarkt reagieren. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, sich den Anforderungen der Mitarbeiter und der Generation Z sorgfältig zu stellen, um im großen Buhlen um die Fachkräfte wettbewerbsfähig zu bleiben.
HR-Aufgabe der Stunde: Jetzt ist ehrliche Reflexion gefragt!
Geht es um das Rekrutieren neuer Mitarbeiter, fällt schnell das Stichwort „Employer Branding“: Wie kann sich das Unternehmen als attraktiver Arbeitgeber positionieren? Davor steht aber noch ein wichtiger Schritt: Eine ehrliche Auseinandersetzung mit den eigenen Arbeitsbedingungen und der Unternehmenskultur.
Im HR-Bereich geht es in erster Linie um Menschen und ihre Bedürfnisse – und diese wandeln sich mit der Zeit. Für Führungskräfte und HR-Entscheider lohnt es sich daher, sich ernsthaft den Wünschen ihrer Belegschaft zu widmen: Es geht nicht mehr nur darum, die regelmäßig anstehenden Mitarbeitergespräche hinter sich zu bringen, sondern tatsächlich darum, den Mitarbeitern zuzuhören, deren Wünsche ernst zu nehmen und im Bedarfsfall auch konkrete Möglichkeiten für eine Weiterentwicklung anzubieten. Das kann dem Unternehmen am besten bei den zentralen Fragen helfen: Was machen wir richtig und was können wir verbessern? Wie schaffen wir eine gute Mitarbeiterbindung und erhöhen die Zufriedenheit im Unternehmen? Denn wirklich zufriedene Mitarbeiter sind im Fachkräftemangel der entscheidende Wettbewerbsvorteil für KMU: Sie bleiben langfristig, tragen ihre Zufriedenheit überzeugend nach außen, sind motiviert und produktiv.
Gibt es dabei eine „one-size-fits-all“-Lösung? Im Gegenteil: Auf die individuellen Wünsche und Bedürfnisse einzugehen, wird immer wichtiger. Es zählt, wie sich das Unternehmen als Arbeitgeber von der Konkurrenz abhebt: Wie stellt es sicher, dass die Zufriedenheit der Arbeitnehmer im Mittelpunkt steht? Ein Thema ist dabei hoch im Kurs: Weiterbildung.
Lernen ist in: Auch die Generation Z findet Weiterbildung gut
Ein Jahrzehnt der Weiterbildung(en) ist notwendig. Die digitale Transformation verändert die Anforderung und benötigten Skills im Arbeitsleben – für viele ist es schwer, mitzuhalten. Aber sogar junge Talente haben eine schwierige Zeit hinter sich: Diejenigen der Generation Z, die gerade ins Berufsleben starten, haben ihren Abschluss inmitten der Corona-Pandemie unter herausfordernden Bedingungen gemacht. Auch wenn sie als Digital Natives wichtige Kompetenzen mitbringen, fühlen sich viele auf das Berufsleben nicht optimal vorbereitet.
Weiterbildungsangebote und Lernbudgets sind daher besonders vielversprechende Maßnahmen für KMU. Wer seine bestehenden Mitarbeiter aus- und weiterbildet, kann Personalengpässe intern lösen. Das gemeinsame Lernerlebnis steigert außerdem das Zugehörigkeitsgefühl im Team und bindet die Angestellten emotional an die Firma. Ihre Wünsche nach persönlicher Weiterentwicklung und Abwechslung erfüllen sich. Die Aufstiegschancen und Karriereoptionen sind wiederum auch für zukünftige Bewerber ein Anreiz. Und Personalentscheider können nicht nur das vorhandene Potential im Betrieb voll ausschöpfen, sondern auch bei der Suche nach neuen Talenten gezielter die benötigten Skills definieren. Viele gute Gründe, sich dem Thema jetzt zu widmen.
Fazit: Alleinstellungsmerkmale bringen Unternehmen nach vorne
Bei der Rekrutierung von dringend benötigten Fachkräften gilt es, die Alleinstellungsmerkmale des Unternehmens herauszuarbeiten. Was macht den Arbeitgeber aus? Wir werden die Mitarbeiter gefördert? Welche Weiterentwicklungsperspektiven bietet das Unternehmen an? Hier können geeignete Qualifikationsangebote für zukünftige Mitarbeiter einen entscheidenden Vorteil bringen. Die bestehenden Mitarbeiter sind dabei natürlich nicht aus dem Blick zu verlieren: Sie können erstens am besten sagen, welche Qualifikationen sie benötigen und auch, wie das Unternehmen insgesamt noch attraktiver für zukünftige Talente werden kann. Zweitens können auch sie Engpässe schließen, indem sie sich benötigte Kompetenzen durch Weiterbildung aneignen – das bindet die Mitarbeiter ans Unternehmen und stärkt die gesamte Belegschaft für die Zukunft.
Franziska Priede, überarbeitet von Janina Zaminer